05.09.2024 08:50
Auf dem Ottenberg die letzte Reise antreten
Ruhe-Wald in Berg
In der Natur einen Platz für die Ewigkeit einzunehmen, ist ein Ansatz, welcher immer mehr geschätzt wird. Neu darf man den Wald der Berger Bürgergemeinde auf dem Ottenberg als letzte Ruhestätte nutzen. Ein Besuch des Ruhe-Waldes.
Berg «Hier, nimm meine Hand», ruft Jörg Streckeisen, Präsident der Bürgergemeinde, und streckt mir die Geheissene entgegen. Ich fasse nach ihr was verhindert, dass ich mit dem Hosenboden einen flachen Hang runterrutsche. «Danke», sage ich erleichtert und ohne grosse Umschweife geht unsere Runde durch das Waldstück weiter. Es gibt keinen ausgeschilderten Waldweg, doch genügend Platz, um den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr zu sehen. Zwei Hektaren umfasst das Waldstück der Bürgergemeinde. Bisher unberührt, wird ihm nun eine Aufgabe übertragen. Drei Jahre lang dauerte die Planung, bis ein Teil des Waldes nun als letzte Ruhestätte dient.
Die auserwählten Bäume sind bereit, um einem Menschen, der die Natur liebte und ein Teil davon werden will, Obhut zu bieten. Dezent verrät ein Holzpfahl, dass hier jemand in einer Urne aus Holz oder in einem Karton ruht und irgendwann Teil des Baumes wird. «Die Asche beinhaltet viele Nährstoffe, welcher der Baum aufnimmt», erklärt der Präsident der Bürgergemeinde und streicht über die Rinde einer erhabenen Buche. Anstatt eines Grabsteins erinnert somit ein Baum an einen geliebten Menschen. Das «Ruhe im Wald»-Konzept stammt von der Bürgergemeinde in Steckborn. Gedacht ist, dass auch andere Thurgauer Bürgergemeinden einen Ruhe-Wald initiieren. Bisher sind die Berger die einzigen, welche die Idee für einen Beitrag übernommen haben. Dazu wurde ihnen das komplette Konzept sowie das Corporate-Design zur Verfügung gestellt.
Grosser Einsatz
Man müsse etwas Gutes nicht neu erfinden, meint der Präsident. Pfannenfertig umsetzbar ist der Ruhe-Wald aber nicht. So bedurfte es in den letzten Jahren einen grossen Arbeitseinsatz der Mitglieder des Vorstands. Zum einen musste das Rechtliche geklärt, danach mit dem Förster nach passenden Bäumen gesucht, eine Webseite erstellt und die Preisliste kalkuliert werden. Die Kosten sind sehr fair, denkt man daran, dass die Unterhaltspflege wegfällt. Denn ein Blumenbeet zu pflanzen entspricht nicht dem Sinn des Ruhe-Walds. Die Natur soll sich genau so weiterentwickeln dürfen. Auch sind keine grossen Zeremonien angedacht. Dass sich die Angehörigen von ihrer Liebsten oder ihrem Liebsten während der Urnenbeisetzung verabschieden, gehöre natürlich zum Prozess des Abschieds dazu, so Jörg Streckeisen.
Diese übernimmt jeweils ein Mitglied der Bürgergemeinde. Eine Aufgabe, welche viel Empathie und Feingefühl verlangt. Jörg Streckeisen wird einer davon sein, welcher die Beisetzung übernehmen wird, das Loch gräbt und die Urne im Waldboden versenkt. Wie es sich anfühlen wird, kann er noch nicht beurteilen. Das Projekt liegt ihm aber sehr am Herzen, das merkt man sofort. Daher wird auch der letzte Akt sicherlich sehr feinfühlig ausgeführt werden.
«Das Konzept wurde an einer Versammlung von den Steckborner Kolleginnen und Kollegen vorgestellt. Unsere Bürgergemeinde ist in den letzten Jahren etwas eingeschlafen. Und die Idee, ein Stück unseres Waldes der Bevölkerung zur Verfügung zu stellen, sagte uns zu.» Mit den Einnahmen wollen die Mitglieder wieder vermehrt Präsenz zeigen im Dorf, soziale Aktivitäten unterstützen und sich am Gemeindeleben beteiligen. Die Koordination und künftige Administration bringt einiges an Aufwand mit sich. Die Initianten wirken allesamt (fast) unentgeltlich. «Wir gehen einmal im Jahr miteinander Essen», ergänzt Streckeisen ganz bescheiden.
«Ein Stück des Waldes ist für unsere liebsten Vierbeiner, oder andere Tierarten reserviert. Für Besitzerinnen und Besitzer könnte es ein schöner Ort sein, um ihre verstorbenen Haustiere zu besuchen.» Ein schöner Ansatz.
Platz reservieren
Wir drehen die Runde noch fertig. Ich zähle 25 Ruhestätten in acht Sektoren. Die grösseren Bäume dürfen auch als Familienbäume genutzt werden. So könne man in der Natur beieinander sein. Wer möchte, kann sich sein «Plätzchen» bereits reservieren. Es denkt niemand gerne an sein Ableben, doch der Gedanke daran, hier die lange Reise anzutreten, mag einigen vielleicht gefallen.
Am 14. September, dem nationalen Tag der Bürgergemeinde, findet die Einweihung statt, zu der alle eingeladen sind - auch Auswärtige.
Anfahrtsweg:
ruheimwald.ch/berg
Von Desirée Müller