Thomas Müller, Dr. iur., Rechtsberatung
Muss ich einen Teil des Schadens selber tragen?
Frage: Ich stand mit meinem Auto an einem Rotlicht, als ein unvorsichtiger Velofahrer den hinteren rechten Kotflügel und die hintere rechte Türe streifte. Es entstand ein langer Kratzer, dessen Reparatur 2000 Franken kostete. Der Radfahrer hat zum Glück eine Privathaftpflichtversicherung. Diese teilt mir nun aber mit, sie könne nur drei Viertel des Schadens übernehmen. Die restlichen 500 Franken müsse ich selber zahlen. Damit bin ich nicht einverstanden, denn ich bin ja absolut unschuldig am Zusammenstoss. Ist der Bescheid der Versicherung korrekt?
Antwort: Leider ja. Nach einem Unfall mit einem Velo, Mofa oder Fussgänger erhalten Automobilisten meist nicht den ganzen Schaden ersetzt, auch dann nicht, wenn sie keine Schuld trifft. Der Grund liegt darin, dass ein Auto ein gefahrenträchtiges Fortbewegungsmittel ist und man sich als Fahrer diese «Betriebsgefahr» anrechnen lassen muss. Gerichte ziehen dafür in der Regel rund einen Drittel ab. Nicht nur das: Ein schuldloser Autofahrer respektive seine Versicherung muss darüber hinaus einen Drittel des Schadens des unfallverursachenden Velofahrers tragen. Stossen hingegen zwei Autos zusammen, neutralisieren sich die Betriebsgefahren, und die Haftung richtet sich einzig nach dem Verschulden.
Anspruch auf vollen Schadenersatz hätten Sie vor allem in zwei Fällen: Wenn Ihr Auto auf einem Parkplatz abgestellt gewesen wäre (dann hätte sich die Betriebsgefahr nicht verwirklicht) oder wenn der Radfahrer grobfahrlässig gehandelt hätte, also völlig kopflos. Dafür braucht es aber viel. Eine Unvorsichtigkeit wie in Ihrem Fall genügt nicht.
Die Rechtslage löst bei schuldlosen Autofahrern verständlicherweise immer wieder Kopfschütteln aus. Nicht alle Versicherungen handhaben solche Fälle denn auch gleich streng. Einige von ihnen decken Schäden bis zu einer bestimmten Summe ohne Abzug für die Betriebsgefahr. Dass die Versicherung des Velofahrers, der Ihr Auto gestreift hat, nicht dazugehört, ist einfach nur Pech. Ohne finanzielle Einbusse kämen Sie somit nur aus der Sache raus, wenn Sie für Ihr Auto eine Vollkaskoversicherung abgeschlossen hätten.
Sie schreiben, der Velofahrer habe «zum Glück» eine Privathaftpflichtversicherung. Das ist richtig, denn es besteht kein Obligatorium (ausser für schnelle E-Bikes). Allerdings sind Automobilisten auch sonst nicht ganz schutzlos: Der Nationale Garantiefonds (NFG) springt ein, wenn durch ein nicht versichertes Velo oder Motorfahrzeug ein Schaden entsteht. Er nimmt dann später Rückgriff auf den Verursacher – sofern dieser bekannt ist.
Thomas Müller, Dr. iur.
Niederneunforn TG
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